Manchmal zeigen sich die größten Risiken dort, wo auf den ersten Blick scheinbar nichts Gefährliches passiert. Genau in diesen Zwischenräumen, sog. Grauzonen, setzt die vorliegende Studie der Landesanstalt für Medien NRW an. Sie untersucht, wie islamistische Inhalte auf Social Media funktionieren, die nicht offen strafbar sind, aber dennoch eine Wirkung entfalten, die Jugendliche und junge Erwachsene in problematische Denkmuster führen kann. Die Analyse blickt tief in einen Bereich, der in der Präventionsarbeit bisher zu wenig Beachtung gefunden hat: Videos, die emotional aufgeladen, identitätsstiftend und rhetorisch geschickt verpackt sind und deren Wirkung sich oft erst in den Kommentarspalten zeigt.
Zwischen Anknüpfung und Ideologie
Die Studie zeigt eindrücklich, wie diese Inhalte auf TikTok, Instagram und YouTube inszeniert werden. Viele Videos wirken modern, nahbar und empowernd, greifen Gefühle von Ungerechtigkeit, Frustration oder mangelnder Anerkennung auf und bieten einfache Antworten auf komplexe Erfahrungen. Und eben diese emotionale Ansprache macht sie so anschlussfähig, besonders für junge Menschen, die sich ohnehin mit Fragen nach Zugehörigkeit oder Identität beschäftigen. Auffällig ist, dass extremistische Botschaften häufig nicht direkt ausgesprochen werden, sondern in scheinbar harmlosen Erzählungen, religiösen Bezügen oder politischen Deutungen mitschwingen.
Ein zentraler Blick der Studie richtet sich insbesondere auf die Kommentarspalten. Denn dort wird sichtbar, wie Inhalte wirken. In vielen Fällen bilden sie Resonanzräume, in denen Zustimmung bestärkt, Gegenrede abgewertet und Emotionen weiter aufgeladen werden. Gerade solche Kommentare zeigen, wie schnell sich dualistische Weltbilder wie etwa „wir“ gegen „die“, verfestigen können. An manchen Stellen dominieren Wut, Misstrauen oder Resignation, an anderen entsteht ein Klima unkritischer Bestätigung. Damit wird deutlich, dass Radikalisierungsprozesse nicht allein durch Content entstehen, sondern durch die Interaktion, Dynamik und emotionale Echtheit, die sich in den Kommentarbereichen entfaltet.
Besonders relevant ist die Erkenntnis, dass viele dieser Mechanismen nicht exklusiv für den islamistischen Bereich gelten. Vergleichbare Muster finden sich auch in anderen extremistischen Szenen oder hoch emotionalisierten Online-Debatten. Genau deshalb betont die Studie, wie wichtig es ist, Kommentarspalten systematisch in die Extremismusforschung einzubeziehen, denn hier zeigt sich die tatsächliche Wirkung von Inhalten, nicht nur deren Oberfläche.
Implikationen für Prävention und Medienbildung
Für die pädagogische und präventive Praxis liefert die Untersuchung wertvolle Impulse. Sie macht deutlich, dass Medienkompetenz dort gestärkt werden muss, wo junge Menschen tagtäglich unterwegs sind. Es braucht Räume, in denen sie lernen, emotionale Ansprachen einzuordnen, Narrative zu erkennen und digitale Dynamiken bewusst zu reflektieren. Gleichzeitig unterstreicht die Studie, wie bedeutsam es ist, Fachkräfte weiterzubilden, um subtile Formen von Extremismus im Netz frühzeitig zu erkennen und zielgruppengerecht darauf reagieren zu können.
Titel
Digitale Grauzonen: Radikalisierungspotenziale von islamistischen Videos und Kommentarspalten. Ergebnisbericht
quelle (Erscheinungsjahr)
Landesanstalt für Medien NRW (2025)
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