Fotos und Videos mit Freund:innen teilen, Neuigkeiten und Informationen austauschen, Inhalte anderer kommentieren – digitale Angebote verfügen über unzählige Kontakt- und Kommunikationsmöglichkeiten. Auch Kinder und Jugendliche nutzen diese ausgiebig. Das bedeutet einerseits Chancen für Teilhabe, Identitätsarbeit und Beziehungspflege, birgt aber andererseits Online-Interaktionsrisiken wie beispielsweise Cybermobbing, sexuelle Grenzverletzungen und Diskriminierung in Form von Hatespeech. Die negativen Folgen solcher belastenden Online-Erfahrungen sind bereits vielfach erforscht. Über Kausalitäten können allerdings keine Aussagen getroffen werden können, da die Folgen negativer Erlebnisse individuell variieren. Das hängt mit der Häufigkeit, Schwere und Dauer der stressenden Interaktionen sowie den Profilen der Betroffenen und ihren Coping-Ressourcen zusammen. Bisher zeigte die Forschung eine zentrale Leerstelle: nämlich die individuelle Wahrnehmung und Bewertung risikobehafteter Online-Phänomene aus der Perspektive von Jugendlichen.
Die Online-Interaktionsrisiken aus Sicht von Jugendlichen und deren potenzielle Schädigung stehen im Mittelpunkt der Studie von Kira Thiel und Claudia Lampert. Die Autorinnen untersuchten, welche Online-Erfahrungen für die Jugendlichen besonders belastend sind, wie sie diesen vorbeugen können und welche Kompetenzen sie benötigen, um mit ihnen umgehen zu können. Im Sommer 2022 wurden zur Beantwortung dieser Fragen 16 qualitative Interviews mit Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren geführt.
Problematische Situationen und Faktoren, die das Erleben beeinflussen
Mit welchen risikobehafteten Phänomenen Jugendliche in Kontakt kommen, hängt stark von ihrer individuellen Nutzungspraktik ab. Auf Messenger-Diensten kommt es häufig zu Konflikten unter bekannten Peers. Auf Social-Media-Plattformen werden Jugendliche auch von unbekannten oder anonymen Personen angegriffen oder sexuell belästigt. In Online-Multiplayer-Games sind sie häufig mit einer toxischen Gesprächsatmosphäre konfrontiert. Systematisches Mobbing, persönliche Beleidigung, Hatespeech und den unerwünschten Erhalt sexueller Inhalte empfinden sie als belastend. Sie fühlen sich verletzt, traurig oder wütend und haben Schuld- und Schamgefühle. Weniger belastend, sondern eher nervig finden sie sexuell konnotierten Spam von Fake-Profilen oder Bots. Als nervig und eher störend, aber nicht belastend, bewerten sie Beleidigungen und die toxische Atmosphäre im Gaming Kontext. Einige berichten von einem Gewöhnungseffekt oder meinen, Hate, übergriffiges Verhalten und Beleidigungen als Begleiterscheinungen der Online-Nutzung in Kauf nehmen zu müssen.
Der Grad der Belastung ergibt sich aus dem Kontext, zum Beispiel der Tagesform und der Situation, und einem Zusammenspiel von verschiedenen Faktoren. Diese lassen sich gliedern in ereignisbezogene Faktoren wie Inhalt und Art der Kommunikation, Dauer und Häufigkeit, in absenderbezogene Faktoren wie Alter, Geschlecht, Bekanntheit, in wahrnehmungsbezogene Faktoren wie Relevanz, Konsequenzen, Kontrollierbarkeit und wahrgenommene (Mit-)Schuld sowie in subjektbezogene Faktoren wie Wert- und Moralvorstellungen, (soziale) Ressourcen und Kenntnisse, Biografie und familiärer Hintergrund. Wiederholtes Erleben belastender Interaktionen kann sowohl eine Stress verstärkende, als auch eine Stress reduzierende Wirkung haben.
Die Jugendlichen greifen je nach Situation und Belastungsgrad auf ein breites Spektrum an Handlungsmöglichkeiten zurück. Wenn diese scheitern, greifen sie zunächst auf die Unterstützung nahestehender Personen und später auch auf die weiter entfernter Akteur:innen zurück. Neben informeller und instrumenteller Hilfe wünschen sie sich auch emotionale Unterstützung. Dazu gehören Zuhören, Verschwiegenheit und das Gefühl, ernst genommen zu werden. Häufig kennen sie nicht ihre Rechte oder wissen nicht, wie sie diese durchsetzen können.
Fazit
Jugendliche kommen unweigerlich mit Online-Interaktionsrisiken in Berührung. Ohne die Teilhaberechte junger Menschen zu beschneiden, lässt sich eine Risikovermeidung nicht durchsetzen. Deshalb müssen Jugendliche zu einem intelligenten, eigenverantwortlichen Risikomanagement befähigt werden. Dazu gehören das Wissen über Handlungsmöglichkeiten wie beispielsweise die Privatsphäreneinstellungen, die Kenntnis ihrer Rechte im digitalen Raum und die Befähigung zur digitalen Selbstbehauptung, Zivilcourage und zu einem respektvollen Umgang miteinander.
Die qualitative Studie wurde durchgeführt im Rahmen des BMBF-Projekts „SIKID – Sicherheit für Kinder in der digitalen Welt“. Der vollständige Bericht ist im Opec Access verfügbar.
Titel
Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
Quelle (Erscheinungsjahr)
Hans-Bredow-Institut (2023)
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