Seit Beginn der Corona Pandemie im Frühjahr 2020 haben Essstörungen global zugenommen. Die Studienlage, besonders in Deutschland, ist dazu noch sehr dünn. Dennoch wurden laut Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung steigende Zahlen der Behandlungen, besonders bei Anorexie (umgangssprachlich Magersucht) und Bulimie, bei den Krankenkassen festgestellt. Der Anstieg dieser Erkrankungen, welche zu einem niedrigeren Körpergewicht und einem dünnen Aussehen führen sollen, ist gerade bei jungen Frauen und Mädchen hoch. Grund für dieses Phänomen ist wahrscheinlich auch der erhöhte Social-Media-Konsum, ausgelöst durch den Lockdown während der Pandemie. Neben den häufig diskutierten Ursachen, wie perfekten und bearbeiteten Bildern auf den Plattformen, gibt es weitere Gründe und Mechanismen, die förderlich für die Entwicklung einer Essstörung sein können. Die Rede ist hier von sogenannten „Magergruppen“ auf Whatsapp oder anderen Kommunikations-Plattformen im Netz.
Um diese Chatgruppen geht es in dem neuen Report von jugendschutz.net. Bei der durchgeführten Recherche zeigten sich sehr problematische und gefährliche Interaktions- und Verhaltensweisen innerhalb der dortigen Communities. So sind die Mitglieder gut untereinander vernetzt und geben sich selbst, als Teilnehmerinnen der Gemeinschaft, die Bezeichnung „Ana“ oder „Mia“. Diese Namen sind abgeleitet von dem in den Gruppen glorifizierten Krankheitsbild: Anorexie und Magersucht.
Der Weg in die Magergruppen beginnt meist über Anzeigen auf diversen Plattformen. Die Anzeigen richten sich in sehr vielen Fällen sogar explizit an Mädchen unter 18 Jahren. Jugendschutz.net hat sich für den Report auf einige der Anfragen gemeldet und konnte so einen Einblick in die Strukturen der Magergruppen erlangen. Nach der Rückmeldung müssen die „Interessierten“ Daten über ihren Körper angeben.
Macht und Kontrolle
Die Administratorinnen der „Vorgruppe“, in welcher man sich zunächst bewähren muss, bevor man in die tatsächliche Magergruppe aufgenommen wird, entscheiden, ob diese Daten gut genug sind. Nach der Aufnahme in eine der Vorgruppen warten harte Regeln und Kontrollstrukturen auf die Teilnehmerinnen. Auf Nachrichten ist innerhalb von ein bis zwei Stunden zu reagieren, sonst wird man hinausgeworfen. Jeden Tag müssen Ernährungsprotokolle geteilt werden, bei welchen die aufgenommenen und verbrauchten Kalorien aufgelistet werden. Die Administrator:innen üben durch diese Anforderungen und ihre Macht, Menschen aus der Gemeinschaft zu entfernen, enormen Druck auf die Mitglieder aus, was zu einem immer ungesünderen Verhalten führt.
In den Gruppen wird das essgestörte Verhalten durch Hungerwettbewerbe und Bewunderung für besonders abgemagerte Körper immer weiter gepusht. Mentale Krankheiten oder Probleme werden gleichzeitig bewusst ausgeklammert oder ignoriert. Wenn Mitglieder über Suizidgedanken oder -versuche berichten, erhalten sie entweder keine Reaktion oder die Ermahnung, in der Gruppe nicht darüber zu sprechen.
Effektives Vorgehen gegen Magergruppen
Die Dynamiken dieser Communities sind äußerst gefährlich und laufen gleichzeitig sehr versteckt in abgeschlossenen, privaten Chatgruppen, in die fast kein Einblick möglich ist. Deshalb ist das Melden der Suchanzeigen für Magergruppen die machbarste und zielführendste Möglichkeit, gegen diese vorzugehen. Nach der Recherche von jugendschutz.net haben Social Media-Anbieter bei den meisten der gemeldeten Anzeigen schnell reagiert und diese gelöscht. Insgesamt bieten aber nur Instagram und TikTok den Meldegrund „Essstörung“ als Kategorie bei Meldungen an.
Wichtig ist es also, aufmerksam in den Sozialen Medien unterwegs und auch sensibel für das Verhalten der Menschen im eigenen Umfeld zu sein, um bei einem Verdacht schnell handeln zu können. Hierfür hat jugendschutz.net auch weiterführende Tipps für Fachkräfte und Angehörige zusammengefasst, die im Umgang mit der Thematik helfen können.
Titel
Report: Magergruppen in WhatsApp und Co. Wie Chatgruppen essgestörtes Verhalten verherrlichen und fördern.
Quelle (Erscheinungsjahr)
Jugendschutz.net (2023)
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